17 Thesen zur Nachhaltigkeit
Seit über 29 Jahren publiziert die Zumtobel Group jährlich einen künstlerischen Geschäftsbericht, der von renommierten Persönlichkeiten gestaltet wird. Dabei entstehen unkonventionelle Kunstbücher in gedruckter Form, die bereits Sammlerstatus erreicht haben. Prof. Werner Sobek folgte der Einladung und gestaltete zusammen mit büro uebele den diesjährigen Geschäftsbericht 2019/20 der Lichttechnikfirma.
Das Gesamtkonzept ist nachhaltig und eindringlich – mit 17 Thesen verdeutlicht Prof. Werner Sobek den dringend notwendigen Wandel im Bauwesen: „Die Thesen sind Mahnung, Aufklärung und Perspektive. Sie sollen Bewusstsein schaffen und eine zielgerichtete Diskussion über unsere gemeinsame Zukunft entfachen.“ Das Buch ist zudem 100 % rückstandsfrei produziert und kann vollständig in den Recyclingkreislauf zurückgeführt werden.
Wir freuen uns über diese besondere Gelegenheit!
Video: Zukunft und Verantwortung im Bauwesen – 17 Thesen von Werner Sobek
Werner Sobeks Thesen zur Nachhaltigkeit von 1 bis 17
These 01: Die Menschheit wächst im Durchschnitt um 2,6 Menschen pro Sekunde
Dies ist die wohl wichtigste Zahl. Wollten wir den durch dieses Wachstum entstehenden Bedarf an Hochbauten und Infrastruktur auf dem Niveau von Österreich, der Schweiz oder Deutschland befriedigen, dann müssten wir der Erde hierfür pro Jahr circa 40 Milliarden Tonnen Baustoffe entnehmen.
Es geht also fortan darum, für mehr Menschen mit weniger Material zu bauen.
These 02: Die große Tragödie der Menschheit besteht darin, dass CO₂ durchsichtig und geruchlos ist.
Das Begreifen des von den Menschen nicht wahrnehmbaren, klimaschädlichen Gases beginnt wohl erst dann, wenn wir vor dessen Auswirkungen stehen. Dann aber ist es zu spät.
Wir müssen lernen, das Nicht-Sichtbare, das Nicht-Riechbare zu verstehen, es zu bändigen und zu vermeiden, um seine Auswirkungen so klein wie möglich zu halten.
These 03: Die Menschheit hat kein Energieproblem. Sie hat ein Emissionsproblem
Allein die Sonne strahlt über 10.000-mal mehr Energie auf die Erde ein, als die Menschheit für alle ihre Funktionalitäten benötigt. Wir haben also kein Energieproblem.
Wir haben ein Emissionsproblem, im Wesentlichen hervorgerufen durch die bei der Verbrennung von fossilen Trägern, Biogas und Holz entstehenden klimaschädlichen Gase.
Wir müssen energiepolitische Maßnahmen durch emissionspolitische Maßnahmen ablösen. Das Freisetzen klimaschädlicher Gase bei Herstellung, Betrieb und Abbau unserer gebauten Umwelt sollte verboten werden.
These 04: Es ist irreführend, von „erneuerbarer“ Energie zu sprechen
Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Sie kann nur von einer Form in andere Formen umgewandelt werden. Wir müssen uns um eine präzise Sprache, ein präzises Beschreiben der Fakten und der zwischen den Fakten bestehenden Zusammenhänge bemühen. Dies ist Grundlage sowohl jedweder Erkenntnismöglichkeit und damit jeder Wissenschaft als auch jedweder Demokratie.
These 05: Es ist falsch, den Fokus nur auf die Energieeffizienz in der Nutzungsphase zu richten
Hinter der Forderung nach Energieeffizienz in der Nutzungsphase von Gebäuden steht eigentlich der Wunsch nach einer Absenkung der damit verbundenen Emissionen. Das eigentliche Ziel ist jedoch ein emissionsfreier Betrieb. Dies sollte man dann auch so benennen. Aber: Der Betrieb der Gebäude ist nur ein Teil des Problems.
Wir müssen die Zielrichtungen unseres Handelns bei der Bebauung der Welt ändern. Die Priori-tät muss auf einer drastischen Reduktion der grauen Emissionen liegen.
These 06: Das Bauschaffen produziert zu viel gasförmigen Abfall.
Errichtung und Betrieb unserer Gebäude erzeugen circa 35-40 % aller klimaschädlichen Emissionen. Dies entspricht einer Menge von rund 12 Milliarden Tonnen CO₂. Pro Jahr. Oder 380 Tonnen CO₂ pro Sekunde.
Wir müssen alles tun, um die mit der Errichtung, dem Betrieb und dem Rückbau unserer gebauten Umwelt entstehenden Emissionen zu senken – indem wir sie vermeiden oder kompensieren.
These 07: Wir müssen mit weniger Stahlbeton bauen.
Die Herstellung eines Kubikmeters Stahlbeton geht mit der Emission von etwa 330 kg CO₂ einher.
Wir sollten also zukünftig Stahlbeton deutlich sparsamer und nur noch dort verwenden, wo seine wunderbaren Eigenschaften wirklich benötigt werden.
These 08: Die Menschheit verfügt über zu wenig Bauholz
Der Traum, unsere gebaute Welt fortan nahezu ausschließlich aus Holz zu erschaffen, scheitert bereits an der verfügbaren Menge an Bauholz. Würde man alle Wälder der Erde nach modernsten forstwirtschaftlichen Prinzipien bewirtschaften, dann könnte man hieraus ungefähr 12 bis 15 Milliarden Tonnen Bauholz gewinnen. Der tatsächliche Baustoffbedarf liegt aber um ein Mehrfaches höher.
Es gilt, in großem Umfang schnell wachsende und für das Bauen nutzbare Hölzer anzupflanzen. Auch wenn diese Wälder erst in Jahrzehnten geerntet werden können – sie sind eine wichtige Investition in die Zukunft. Und sie binden schon jetzt CO₂. Aufforstung ist das Gebot der Stunde.
These 09: Wir brauchen mehr Bäume
Die infolge natürlicher Prozesse entstehenden CO₂-Emissionen betragen derzeit ungefähr 550 Milliarden Tonnen (Gt) pro Jahr. Diese Menge wird von der Natur in etwa der gleichen Größen-ordnung durch Photosynthese wieder gebunden. Für die durch anthropogene Prozesse entstehenden Emissionen, die derzeit bei circa 32 Gt pro Jahr liegen, fehlt ein natürliches Bindungspotential.
These 10: Die CO₂-Bindungskapazität eines einzelnen Baumes wird völlig überschätzt
Ein großer und gesunder Baum in Europa bindet in der Phase seines stärksten Wachstums im Durchschnitt bis zu 100 Gramm CO₂ pro Tag.
Um eine Autobahn wie die A8 bei Stuttgart emissionsfrei zu gestalten, müssten pro Kilometer Autobahn mehr als 200.000 derartiger Bäume stehen. Das ist schon räumlich gesehen nicht möglich.
Wir müssen also weniger Auto fahren. Wir müssen mit emissionsarmen Autos fahren. Und wir müssen Bäume pflanzen. Jeden Tag.
These 11: Das Bauschaffen verbraucht zu viele Ressourcen
Das Bauwesen steht für etwa 60% des weltweiten Ressourcenverbrauchs. Wir müssen mit viel weniger Material bauen. Und wir müssen so bauen, dass alle Baustoffe später wiederverwendet werden können.
Nichts darf verloren gehen, nichts darf vernichtet werden.
These 12: Die Menschen müssen anders bauen
Wir können den Ressourcenverbrauch, den Energieverbrauch und die Emissionen im Bauwesen nur dann radikal reduzieren, wenn wir unsere Art zu bauen vollkommen verändern. Ressourcenarmes Bauen bedeutet konsequenten Leichtbau, bedeutet recyclinggerechtes Bauen, bedeutet Bauen mit Rezyklaten.
Es bedeutet aber auch, pro Kopf weniger zu bauen. Unsere Gebäude emissionsfrei zu betreiben bedeutet eine völlige Abkehr von bisherigen Konzepten.
Sollten wir nicht endlich eine Bautechnik entwickeln, die sich in den Rahmen des durch die Natur Gegebenen einordnet – anstatt ihn zu sprengen? Eine Bautechnik, die für viele Generationen gültige Lösungen schafft?
These 13: Bauen ist der Produktionsversuch menschlicher Heimat
Wir wissen nicht, woher wir kommen, wir wissen nicht, wohin wir gehen. Hier, im Jetzt und Heute, suchen wir Sinn und Geborgenheit. Heimat. Wir suchen eine Heimat, die auch und wesentlich durch die gebaute Umwelt bedingt wird.
Sollten wir nicht viel mehr Heimat bauen? Für alle. Städte, die gut klingen. Häuser, die gut riechen. Infrastruktur, die man gerne berührt.
These 14: Die gebaute Welt braucht eine andere Art von Licht
In den vor uns stehenden Zeiten schwerer Verwerfungen und großer Erschütterungen gewinnt das Bauen mit Licht eine völlig neue Bedeutung.
Wir müssen unseren Umgang mit Licht völlig neu denken. Wir müssen beginnen, wieder mit Licht zu bauen.
These 15: Wohlstand für alle auf dem bisherigen Niveau der Industrieländer ist nicht möglich
Die Versorgung aller heute Lebenden mit einem baulichen Standard, der ein gesundes und menschenwürdiges Leben ermöglicht, ist nicht möglich. Die Versorgung aller zukünftig neu in unsere Welt hineingeborenen Menschen mit einem solchen baulichen Standard ist ebenso wenig möglich.
Diese Erkenntnis sollte all unser Denken und Handeln bestimmen. Dabei müssen wir stets ehrlich sein: Entweder wir bekennen uns dazu, dass wir bewusst Vielen den Zugang zu unserem Lebensstandard verwehren, oder wir alle ändern unser Leben und unsere Ziele, die wir uns in diesem allzu kurzen irdischen Dasein gesetzt haben.
Wir alle müssen unser Leben, unsere Ziele in diesem allzu kurzen irdischen Dasein ändern. Wir müssen schreiben, sagen und singen: Wir alle werden unser Leben ändern.
These 16: Die große Transformation muss gelingen
Wir haben maximal bis zum Jahr 2050 Zeit, um die vollständige Reduktion der Emission klima-schädlicher Gase, das Abflachen des Bevölkerungswachstums und die Vollendung einer voll-ständigen Kreislaufwirtschaft sowie Ernährung, Bildung und medizinische Versorgung für alle sicherzustellen. Das ist die Zeitspanne einer Generation. Wenn wir diese gesamtgesellschaftlich zu erledigende Aufgabe nicht bewältigen, werden die Folgen nicht mehr beherrschbar sein.
„Einen Olivenbaum pflanzt man für die Enkel“ lautet ein altes griechisches Sprichwort. Steckt hierin nicht viel mehr Weisheit, viel mehr Zukunftsverantwortung als in unserem gesamten derzeitigen Wirtschaftssystem? Müssen wir nicht alles tun, um auch den kommenden Generationen ein menschenwürdiges Leben auf Erden zu ermöglichen?
These 17: Natura mensura est
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Nicht ein Gott und nicht der Mensch und auch kein Mammon sind für uns das zukünftige Maß der Dinge. Die Erhaltung einer intakten Natur ist oberste Aufgabe, denn ohne eine intakte Natur gibt es keine Grundlage für menschliches Leben.
Unser Leben und Handeln muss an einer neuen Angemessenheit und an einer neuen Form der Zuneigung ausgerichtet werden. Zur unbedingten Wertschätzung des Anderen als eines Menschen gleicher Würde treten Wertschätzung und Fürsorge für die Natur hinzu, im Ganzen wie im Einzelnen. Ein Weiter-so-wie-bisher gibt es nicht mehr.