Die Digitalisierung der Baubranche
In einem Interview für INGBWaktuell, den Newsletter der Ingenieurkammer Baden-Württemberg, sprach Steffen Feirabend über die Digitalisierung der Baubranche. Das Interview ist im Mai 2021 erschienen. Der vorliegende Text ist eine leicht gekürzte Fassung des Interviews, das hier mit freundlicher Genehmigung der Ingenieurkammer Baden-Württemberg wiedergegeben wird.
Wie steht es im Moment um die Digitalisierung des Bauwesens, wie stark wird BIM in der Baubranche und von Architekten und Ingenieuren genutzt?
Sicherlich hat die derzeitige Situation dazu beigetragen, dass sich auch in der Baubranche eine digital vernetzte Arbeitsweise schneller etabliert hat, als wir uns dies vor einem Jahr vorstellen konnten. Viele Architekten und Ingenieuren haben notgedrungen neue digitale Werkzeuge und Methoden kennengelernt und dabei die Vorteile des vernetzten Arbeitens zu schätzen gelernt. Aber schon in den Jahren zuvor war ein deutlicher Anstieg des Digitalisierungsgrads zu spüren. Hinzu kommt, dass Bauherren vermehrt ganz gezielt in Ausschreibungen BIM-Anforderungen definieren und auch einfordern. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland aber sicherlich keinen Spitzenplatz bei der Digitalisierung des Bauwesens ein.
Auf die drei Hauptargumente heruntergebrochen: Was spricht für BIM in der Planung?
Um es kurz auf drei Themenblöcke zu reduzieren: Verbesserte Kommunikation und Qualität durch Transparenz, eine damit einhergehende höhere Effizienz sowie die Chance für alle Beteiligten, die Daten über den kompletten Lebenszyklus nachhaltig für unterschiedliche Zwecke nutzen zu können. BIM ist ja nicht nur eine Planungsmethode, sondern schließt den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks ein, das heißt ausgehend von den ersten Ideen, der Planung, dem Bau, dem Betrieb bis zum Um- und Rückbau – darin liegt die große Chance.
Wie muss sich BIM Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?
Derzeit liegt der Fokus bei der Anwendung von BIM bei vielen Beteiligten auf dem digitalen Planen und Bauen – und somit nur auf einem zeitlich sehr begrenzten Teilbereich des Lebenszyklus eines Bauwerks. Viele Planer schätzen die Chancen des integralen, kooperativen und kollaborativen Ansatzes mit der BIM-Methodik, sehen aber auch die Gefahr eines Mehraufwands, den die Erarbeitung und Verwaltung sehr großer Datenmengen und deren Austausch nach sich ziehen kann. Ohne ein kritisches Hinterfragen bestimmter Anforderungen besteht die Gefahr, dass Aufwand und Ergebnis nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.
So sollte sich die geforderte Modellierungstiefe nicht am technisch Möglichen orientieren, sondern daran, was zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich erforderlich und sinnvoll ist. Die ausführenden Firmen wiederum suchen angesichts des harten Wettbewerbs nach Wegen, wie ein präziser und effektiver Fertigungs- und Montageablauf gewährleistet werden kann, um die eigene Produktivität zu steigern. Hier bietet BIM viele Chancen und Möglichkeiten. Deutlich wird dabei, dass die tradierte Schnittstelle zwischen Planung und Realisierung im Zuge der Digitalisierung immer durchlässiger wird: Grenzen zwischen einzelnen Leistungsbereichen verschieben sich oder lösen sich ganz auf.
Aus Gründen der Nachhaltigkeit sollte unser Fokus beim Arbeiten mit BIM in Zukunft verstärkt auf dem Betrieb, der Revitalisierung, dem Rückbau und der Rückführung der verwendeten Werkstoffe in biologische und technische Kreisläufe liegen. Dies bedingt aber die geordnete Übergabe der digitalen Daten nach dem Bau in den Betrieb, sprich in das Facility Management und deren Pflege über viele Jahrzehnte bis zum Rückbau. Darüber müssen sich die Beteiligten schon zu Beginn eines Projekts klar sein und entsprechende Ziele miteinander vereinbaren.
Was sind für Sie derzeit wichtige Trends, die zur Digitalisierung der Baubranche beitragen werden? Und welchen Impact sehen Sie dabei für die Arbeit der Bauingenieure?
Die Digitalisierung ermöglicht großflächig an den Stellschrauben für eine effizientere Nutzung von ökonomischen und ökologischen Ressourcen zu drehen – auch wenn hier sicher noch diverse technische und strukturelle sowie rechtliche Hürden zu überwinden sind. Die Erfassung und Aufbereitung der Daten von Bauwerken ist kein Selbstzweck, sondern erschließt einen unschätzbaren Datenpool, insbesondere wenn diese Daten nicht nur für ein einzelnes Bauwerk, sondern für einen zusammenhängenden urbanen Raum verfügbar sind. Insgesamt sicherlich ein sehr komplexes Vorhaben, das aber auch ein großes Potential in sich trägt.
Für den Einzelnen wird die Befähigung zum integralen und digitalen Arbeiten weit über die althergebrachten Disziplingrenzen immer wichtiger, um auch langfristig Lösungen für Herausforderungen zu finden und dabei auch Chancen für neue Geschäftsmodelle zu nutzen.
Was können die im Baubereich tätigen Ingenieure tun, um beim Thema Digitalisierung am Ball zu bleiben?
Die notwendige Offenheit und den Mut, neue Wege zu gehen müssen sich die Ingenieure bewahren – das lateinische Wort „ingenium“ steht ja für „sinnreiche Erfindung“ oder „Scharfsinn“. Wir müssen bereit sein, die Komfortzone des Bekannten zu verlassen und uns auf einen sicher nicht immer ganz einfachen Lernprozess einlassen. In der Aus- und Weiterbildung der Ingenieure und Architekten müssen entsprechende Weichenstellung getätigt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass später im Beruf mit heute noch nicht bekannten bzw. absehbaren Werkzeugen und Methoden sinnvoll und zielgerichtet gearbeitet werden kann.